Überarbeitete Fassung eines Berichts, der hier schon mal gestanden hat. Wie sehr mag ich doch das kleine Hafenstädtchen Pigádia mit all seinen Facetten. Es ist nicht zu groß, aber auch nicht zu klein, gerade richtig, für Leute, die ein wenig Lebendigkeit suchen ohne gleich in einen Touristenrummel zu geraten. In Pigádia spielt sich das ganz normale griechische Inselleben ab; hier sieht man auch noch mehr Griechen bei ihren Alltagsgeschäften als Fremde. So ist es zumindest in der Zeit, wenn ich auf Kárpathos weile.
Zwar haben sich auch in Pigádia – wie andernorts auch – Lokalitäten etabliert, die vorbeigehende Fremde in einer Art zum Verweilen auffordern, die schon an Belästigung grenzen, doch man muss diesem Werben ja nicht nachgehen. Mich jedenfalls kann es nicht beeindrucken.
Im Laufe der Zeit bekommt man schon heraus, wohin man am liebsten geht, wo man sich am wohlsten fühlt. Für mich ist es in erster Linie das Cafe Kárpathos und ich komme mir schon fast wie ein Familienmitglied vor. Das liegt sicher auch daran, dass ich mit ihrem Sohn Michali befreundet bin, der ja in Deutschland nicht weit von mir entfernt lebt. Mindestens einmal am Tag muss ich Toula und Ilias dort besuchen und meistens, da treffe ich auf Bekannte aus den Vorjahren. Irgendwie ist es dort wirklich wie in einer großen Familie.

Ja, im Café Kárpathos, da trifft man sich: Einheimische wie Gäste aus aller Herren Länder.
Männer, die stundenlang Tavli spielen –
Hausfrauen, die mit dem vorbeifahrenden Gemüsehändler über Qualität und Größe der Tomaten streiten –
Touristen, die einfach ihre Seele baumeln lassen oder sich hier verabredet haben.
Und während Toula ihre leckeren Spezial-Sandwichs zubereitet, unterhält sich Ilías gerne mit den Gästen oder geht einkaufen.
Manchmal besuchte er sicherlich auch noch das eine oder andere Kafénion in der Nachbarschaft.
Wenn Toula darüber vielleicht das eine oder andere mal verstimmt war, weil Ilias zu lange ausblieb, dann hat das nur selten ein Gast mitbekommen.
Sie ist halt eine diplomatische Frau, die sich aber dennoch nicht unterbuttern lässt typisch griechisch eben.
Wer häufiger hier sitzt, bekommt so Einiges vom Insel-Alltag mit. Nicht nur sonntags vormittags diskutierte der Amtstierarzt der Insel unüberhörbar mit seinen ‚Freunden’. Auch wenn ich den Gesprächen nicht ganz folgen konnte, so ging schon aus Lautstärke und Vehemenz seiner Argumente hervor, dass er ein Despot war, der keinen Widerspruch duldete.
Die gute Toula allerdings ließ sich nie von ihm einschüchtern; sie gab ihm Kontra, sie bremste ihn aus, wenn er übers Ziel hinausschoss. Sehr beliebt schien der Herr allerdings auf der Insel nicht sein, vor allem den Tierschützern war er ein Dorn im Auge. Einmal – so erzählte man mir – sei eine Frau mit ihrer kranken Ziege zu ihm gekommen. Er hat sie weggeschickt, es sei doch nur eine Ziege. Die Ziege sei jämmerlich eingegangen. Fremde mochte er auch nicht, der großwüchsige Mann im weißen Hemd, in dem immer mehrere Kugelschreiber steckten.
In den letzten Jahren habe ich ihn allerdings nicht mehr gesehen. Ob er nicht mehr auf der Insel ist? Ob ihm die Inselbewohner nachtrauern?
Nikita begegnet man täglich im Café Kárpathos oder irgendwo in der Stadt. Meist ist er recht geistesabwesend, denn er rennt für jeden Laden- oder Kafeníonbesitzer, um kleine Besorgungen zu machen. Einmal jedoch wollte er es sich nicht nehmen lassen, mir ein Ständchen – zur Belustigung aller Anwesenden - darzubringen.
Mittags taucht häufig ein etwas untersetzter Herr in weißem, blutverschmiertem Kittel auf. Ist es nun der Metzger oder ist es der Zahnarzt aus der ‚antiken’ Praxis?
Tja, und dann gab es da noch Coco, der seinen Platz auf dem Balkon oberhalb des Cafés nur in der Mittagshitze zu verlassen schien. Coco, das Imitationsgenie aus Afrika, der leider 2005 starb.
Ca. 40 Jahre sei er alt, hatte mir Ilías erzählt, bei dem der Graupapagei mehr als 30 Jahren lebte.

Nicht nur, dass er den Mädchen hinterher pfiff,
nein, er imitierte auch die Trillerpfeife der Polizei und die Sirenen von Feuerwehr und Ambulanzwagen
und narrte damit alle Leute.
Und wenn er ganz besonders gut drauf war, dann pfiff er sogar den River Quay Marsch.
Besonders gerne ahmte er das Miauen der Katzen nach, das diese dann irritiert nach der Quelle des Geräusches suchen ließ.
Mehr als einmal hat er sich deshalb allerdings ein paar Ohrfeigen von einer Katze eingefangen.
Ja, Coco war schon ein Genie.